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Zeitzeuge: Carl Friedrich Bautsch (Groß Hesebeck) | verfasst Weihnachten 2013;

68 Jahre ist es nun schon her, das der Krieg vorbei ist. Ich hatte das Glück ohne in Gefangenschaft zu geraten, schon Ende April 1945 nach Hause zu kommen. Es waren damals schwere Zeiten.

Flüchtlinge aus dem Osten hatten sich bei uns  einquartiert. Die Kriegsgefangenen  gingen nach Beendigung des Krieges in ihre Heimat zurück. Soldaten, die nicht in ihre alte Heimat zurück konnten, die wir damals „Landser“ nannten, übernahmen die Arbeit bei den Bauern. Viele Landarbeiter und Bauernsöhne  waren gefallen im Krieg. Die Einwohnerzahlen unserer Dörfer hatten sich aber mehr als verdoppelt. Wir freuten uns, es gab keinen Fliegeralarm oder Bombendrohungen mehr. Die Besatzungsmacht hatte in den Abendstunden Ausgangssperre verhängt. Familien die sich während der Flucht verloren hatten suchten, wo ihre Verwandten geblieben waren. Es war aber die erste Weihnacht in Frieden.

Die Nahrungsmittel waren knapp. Es gab Lebensmittelkarten, Milchkarten, Butterkarten, Brotkarten, Eierkarten, sogar Raucher Karten, Kleiderkarten oder Bezugsscheine für besondere Zwecke. Das Lied wurde gesungen: „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, im Monat Dezember, gibt’s wieder ein Ei.“ Auf Plattdeutsch kannte man in den Kriegsjahren den Spruch: „5 Penn‘ för een Ei, seggt Robert Ley (Arbeitsminister), 10 Penn‘ för eenen Hering, seggt Hermann Göring, ward alles düürer, seggt de Führer.“ Feuerholz war knapp, es gab im Wald keine trockenen Bäume oder Äste, selbst Stubben wurden ausgegraben. Fuhr ein Zug mit Kohlen auf der  Bahn  und musste vor einem Signal halten, kletterten die Leute auf die Waggons und holten sich Kohlen. Das Schlagwort damals „Kohlenklau.“ Voll besetzte Züge, man stand auf den Trittbrettern, die Leute, wir sagten, Hamsterer, kamen von Hamburg um etwas zu tauschen, vor allem um sich bei uns Kartoffel zu besorgen. Jeder, der über 18 Jahre alt war, bekam eine Raucherkarte, auch die Oma, die gar nicht rauchte. Gleichberechtigung gab es nicht. Frauen erhielten weniger Zigaretten. Geld war genug da, es gab eine „Zigarettenwährung.“ Eine deutsche Zigarette, „Sondermischung Typ 4“ kostete damals 4 Mark, eine englische Zigarette „Chiesterfield,“ „Camel,“ oder „Luki Strike“ 8 Mark.

Überall wurde Tabak angebaut.  Der mit den langen Blättern, „Virginia,“ war noch zu ertragen, der Rundblätterige „Machorka,“ stank beim Rauchen, wie die Pest. Aus Zuckerrüben wurde selbst Sirup hergestellt. Überall hatten Leute, wer weiß woher, Sirupspressen. Sirup war überall der  Brotaufstrich und diente, weil Zucker rationiert war, als Zuckerersatz. Quarkbrote versorgten uns mit Eiweiß.

Vor dem Krieg konnte keiner Branntwein herstellen. Nun aber gab mit einmal es viele Profis. Aus Zuckerrüben entstand der „Rööbenschluck“ und aus Korn, der Branntwein. Wo damals die, für die Destillation benötigten Kupferrohre  alle herkamen,  ist mir bis heute ein Rätsel. „Einweckaparte“ und vor allem die Futterkessel  wurden zum Schnapskochen benutzt. Den Futterkessel deckte man mit einem Deckel aus Fußbodenbrettern zu, dichtete mit Lehm ab und steifte es gegen die Decke mit Holz ab. Aus dem abgedichteten Deckel entwich der Alkohol durch die Kupferschlange und wurde dann abgekühlt. Gasmaskenfilter mit Filterkohle benutzte man um das „Fuselöl“ zu reduzieren. Von Schlehen (Schwarzdorn) oder Hagebutten entstand in Glasgefäßen („Demilion“) „Schlönwien“ oder „Habebuttenwein.“ Schnaps vermischt mit Eiern, ergab besten „Eierlikör,“ mit Honig gesüßt, „Bärenfang.“ Mit Alkohol oder Zigaretten konnte man auf dem „Schwarzmarkt“ alles eintauschen. Es entstanden sogenannte „Tauschbörsen,“ wo man Ware gegen Ware tauschen konnte. Kochtopf gegen Kinderbett, Schuhe Größe 41, gegen Größe 45, Wassereimer gegen Unterhosen, Holzpantoffel gegen Wolljacke, usw. Alles, ja fast alles wurde angeboten. Ein Punktessystem regelte den  Wert.

Krieg

Eine Aufnahme aus Kriegstagen – Die Besatzung eines Schiffes behilft sich mit einfachsten Mitteln.

Ich hatte nur einen Wunsch. Seit meiner Jugend besaß ich ein Aquarium. Bei der Besetzung unseres Hauses haben die Engländer es zerstört. Meine Schwester hatte ein Puppen-Elektroherd, das sie nicht mehr brauchte. Mit dem Puppenherd fuhr ich per Fahrrad nach Uelzen und tauschte es gegen ein Aquarium ein. Voller Freude fuhr ich nach Hause. Ein Zweig kam in die Speichen meines Rades, ich stürzte, das Aquarium zersplitterte. Es hat keiner gesehen, mit 19 Jahren liefen die Tränen über beide Backen, so hatte ich mich auf das Aquarium  zu Weihnachten gefreut. Soviel man versuchte mich zu trösten, für mich war alle Weihnachtsfreude vorbei.

Vor Weihnachten wurde gebastelt, repariert. Aus Zuckersäcken nahm man den weißen Faden zum um zu häkeln oder stricken. Alte Pullover „röppelte“ man auf und strickte neue davon. Aus alten Kleidungsstücken entstanden durch umkrempeln, (wenden) neue. Natürlich wurde vor Weihnachten geschlachtet. Dazu benötigte man vom Bürgermeister einen „Schlachtschein“.  Das Tier musste amtlich gewogen werden, das Gewicht wurde sodann auf dem amtlichen Schein vermerkt. Oft wunderte sich der Hausschlachter, dass das Schwein nur 2 Zentner wog, das Schwein auf der Leiter aber doppelt zuviel Gewicht hatte. Ein kleineres Schwein war zum Wiegen gebracht. Es kam sogar vor, dass der Fleischbeschauer feststellte das ein Schwein 8 Beine und 2 Köpfe hatte. Solche Mistgeburten gab es nur in der schlechten Zeit.  Heimlich wurde neben dem, durch Schlachtschein  genehmigten Schlachttier, ein zweites geschlachtet

Auf dem Lande hatten alle, auch die Flüchtlinge, Hühner und Gänse. Oft auch ein Schwein. Roggen und Weizen wurde auf der Schrotmühle gemahlen, gesiebt und zu Brot und Kuchen gebacken. Gegenüber den Leuten in der Stadt, standen sich die Einwohner der Dörfer verhältnismäßig gut. Heiligabend gingen alle um 5 Uhr zur Kirche. Danach Versorgung der Tiere und melken der Kühe. Das Abendessen war besonders gut und  reichlich. Heiligabend hieß ja auch „Vullbuuksabend.“ Mindestens 7 verschiedene Gerichte mussten auf dem Tisch stehen. Mit unsern „Landsern“ und den Mägden waren wir 14 Personen. Anschließend die Bescherung. Ich traute meinen Augen nicht, könnte vör Freude nichts sagen. Da stand unter dem Weihnachtsbaum ein Aquarium. Vater hatte von meinem Pech mit dem Rad erzählt. Bauer Niebuhr aus Gollern sagte: „Ik heff noch sün olen Glaskasten, dor liegt blot Nagels in, dan kannst du kriegen.“ Keiner hat es mir verraten. Bis heute besitze ich noch ein Aquarium, oft erinnert es mich an Weihnachten 1945. Geschenke waren damals der Zeit entsprechend. Handarbeiten, selbst gebastelte oder getauschte Geschenke. Selbst gepflückte Nüsse, „Braune Kuchen“, aus  Sirup, alleine hergestellte Karamellbonbon lagen auf dem „Bunten Teller.“ „Rübenschnaps“ und „Bärenfang“ stand auf dem Tisch. Aus Schlehenwein machten wir unsern Glühwein. Der Bratröhre vom Kachelofen entwich ein süßer Duft von den Bratäpfeln.

Die Lichter am Weihnachtsbaum leuchteten. Auf einmal ging das Licht aus. Die Engländer hatten den Strom abgeschaltet. „Stromsperre.“  Wir ließen uns nicht stören, sangen unsere Weihnachtslieder. Eine Petroleumlampe  wurde angezündet. Mein Vater öffnete die Kachelofentür. Das Licht vom brennenden Birkenholz gab der ganzen Weihnachtsstimmung  den besonderen Glanz. Wie nach einer Stunde die Stromsperre beendet war, schalteten wir das elektrische Licht aus und verlebten Weihnachten 1945 wohl die stimmungsvollste Weihnachtsfeier. Die erste Feier im Frieden nach den Kriegsjahren. Kein Radiolärm, kein Fernsehen, kein Tonband, einfache Geschenke, vielmehr Dankbarkeit als heute. Wir haben wohl alle Weihnachtslieder  gesungen. „O, du fröhliche,“ Ihr Kinderlein kommet,“  „Stille Nacht, Heilige Nacht“ …

So verkehrt wäre eine Stromsperre, heute auch nicht. Aber wo ist der Kachelofen geblieben? Können wir überhaupt uns noch vorstellen, Weihnachten ganz still, ohne teure Geschenke? Verstehen wir überhaupt noch die Weihnachtsgeschichte? Frieden auf der Erde? Vergebung? Was bedeutet uns  „Stille Nacht, Heilige Nacht“ und „gesegnete frohe Weihnacht.“ Diese erste Weihnacht nach Kriegsende werde ich nie vergessen.

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