Quelle:

Stadtarchiv Bad Bevensen – A1185-51/1953/002, Text: T. Wagner

Ein Dumme-Jungen-Streich oder eine „unsittliche Zumutung“?

Mit dieser Frage beschäftigten sich die Behörden im Jahre 1909, nachdem es im Hause des Bevenser Kaufmanns Sickendiek zu einem Vorfall kam, in dessen Folge die 15jährige Dienstmagd Anna Maier aus Wietze-Steinförde ihren Dienstort verließ. Seit dem 1. Dezember 1908 war sie hier angestellt. Vereinbart war eine vierteljährliche Kündigungsfrist. Die Rechte und Pflichten wurden durch die Dienstbotenverordnung geregelt.

Bevor sie ihre Arbeitsstelle verließ vertraute sich Anna ihrem Vater an, der sich daraufhin schriftlich an den Dienstherrn wandte. In diesem Schreiben drohte er auch damit seine Tochter fortzuschaffen, da er sie nicht ausreichend geschützt sah. Das Antwortschreiben vom 10. Juli 1909 fiel nicht wie gewünscht aus, denn Siekendieck forderte den Maier auf, ihn „mit derartigen unflätigen Schreibereien nicht weiter zu belästigen.“ Drei Tage später meldet der Kaufmann das Verschwinden seiner Dienstmagd.

Die Hintergründe für die Dienstniederlegung schildert Anna’s Vater am 14. Juli 1909 bei einer Befragung, die durch das Königliche Landratsamt in Celle in Auftrag gegeben wurde:

„Am 3. Juli ging meine Tochter, die erst 15 Jahre alt ist, mit der 17jährigen Mathilde Hüfing, mit der sie zusammen dient, auf ihr Schlafzimmer, um sich zur Ruhe zu legen. Es war bereits nach 10 Uhr Abends. Als sie beim Auskleiden waren, bemerkte Mathilde Hüfing plötzlich, dass sich eine Mannsperson hinter der Gardine versteckt hatte. Beide Mädchen fingen nun an zu schreien, so dass der Betreffende hervorkommen musste. Es war der Lehrling des Herrn Sickendiek. Da der Lehrling nun auch noch äußerte, wenn er einen Revolver gehabt hätte, so hätte er den auch hingehalten, und auch obendrein durch Erzählungen meine Tochter noch lächerlich zu machen suchte, so schrieb ich an Herrn Sickendiek […]“

Natürlich wurde auch der Dienstherr zur Angelegenheit befragt. Dieser gab an erst durch den Brief des Vaters von dem Vorfall erfahren zu haben. Außerdem handele es sich hierbei nur um „eine Alberei zwischen dem 15jährigen Lehrling und den beiden Mädchen“. Sickendiek beantragte die zwangsweise Zuführung der Dienstmagd auf seine Kosten und deren Bestrafung wegen Verlassen des Dienstes.

Der Landrat in Oldenstadt erließ am 4. August 1909 eine Verfügung zum sofortigen Dienstantritt. Anderenfalls würde eine Geldstrafe von 150 Mark bzw. eine Haftstrafe gegen Anna Maier erlassen. Dieser konnte die Anordnung allerdings noch nicht zugestellt werden, sie war zwischenzeitlich nach Nordhausen verreist.

Schreiben des Kaufmanns Sickendieck | Unsittliche Zumutung?

Der Bevenser Kaufmann beklagt sich am 11. August über das Ausbleiben der Dienstmagd, da die festgelegte Frist bereits abgelaufen war.

Am 31. August, dem Tage nach ihrer Rückkehr, erhielt Anna die Anordnung des Landrats. Sie umging den sofortigen Dienstantritt durch eine am 1. September eingereichte Beschwerde.

Der zügige Dienstantritt schien bis zu dieser Beschwerde ohnehin bedeutender gewesen zu sein, als eine Aufklärung des Sachverhaltes. Denn erst jetzt kam es zu einer Vernehmung des Lehrlings Heinrich Waage und der ebenfalls betroffenen Dienstmagd Hüfing. Der junge Lehrling beteuerte keine bösen Absichten gehabt zu haben. Vielmehr sei es nur eine Alberei gewesen. Auch betonte Waage, dass die Mädchen nicht ausgezogen waren und das Verhältnis zueinander, zumindest bis zum eintreffen des belastenden Briefes, völlig normal gewesen sein. Die Hüfing bestätigte seine Aussage. Sie selbst hätte auch über den Vorfall lachen können, obgleich ihre Bluse schon geöffnet war. Anna fand die Angelegenheit nicht annähernd lustig. Schlussendlich blieb der Vorfall für den Lehrling ohne Folgen – die Akte schließt mit folgendem Schriftstück:

Durch die angestellten Ermittlungen hat sich herausgestellt, dass es bei dem fraglichen Vorfall in der Kammer der Mädchen zwischen diesen und dem 15 jährigen Lehrling sich lediglich um einen Scherz, nicht aber um unsittliche Zumutungen seitens des Lehrlings gehandelt hat. Aus § 53 der Dienstbotenverordnung für die Landdrosteibezirke Hannover Hildesheim, Lüneburg und für den Harzbezirk vom 15. August 1844 kann daher ein rechtlicher Grund für das Verlassen des Dienstes nicht hergestellt werden.“

a1185-51-1953-002-1-2

Anna Maier hatte keinen Erfolg. Am 11. November wurde ihre Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen.

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