Hinweis:

Zeitzeuge: Friedrich Wilhelm Kersting;

Weitere Erlebnisse aus meiner Kindheit nach dem Krieg möchte ich der Nachwelt erzählen, die ein Teil des Spiegelbildes meines Ortes aus den Jahren 1947 bis ca. 1952 darstellen. Für uns Kinder der Uhlestraße in Bevensen gab die Eisenbahn einen wunderbaren Spielplatz ab. Es war ja nicht weit bis zum Bahnhof. Hinten durch den Garten unseres Vermieters, der sehr freundlich und kinderlieb war, und schon lagen die tollsten Spielgründe vor uns. Nebenbei, unser Vermieter, der alte Herr S. starb leider zu früh und sein Schwiegersohn hatte diesen Zugang zu uns Kindern nicht. Er war meistens etwas biestig. Und so wurde meine Abkürzung zur Bahn gesperrt. Aber es gab ja schließlich noch andere Wege. Der Schwiegersohn bereitete unserer Familie auch hin und wieder andere Probleme. Mich erreichten sie aber erst auf Umwegen. Heute würde man das Verhalten Mobbing nennen, oder war es nur die Abneigung gegen Flüchtlinge? Auch wir Flüchtlinge gehören zur Geschichte Bevensens. Unter uns Kindern spürte man das aber kaum oder wir erkannten es nicht. Vielleicht gab es ja ein Verbot der früheren Bundesbahn. Wir wußten es nicht und wer als Kind fragte schon danach. Interessant war auch die Waage, weil die Bauern oftmals Schwierigkeiten damit hatten, ihre Pferdefuhrwerke auf dem Geviert zu halten. Aber noch mehr lockte uns die Viehrampe.

Wir konnten dort die Kälber streicheln und sie leckten uns die Hände. Vor größerem Vieh hatten wir aber gehörigen Respekt. Manche Kuh, die nicht in den Waggon hinein wollte, trieb uns schon mal fluchtartig von der Rampe. Am Nachmittag war die Ecke an der Schranke ein guter Platz, um den Bahnübergang zu beobachten und den Zugverkehr der alten Dampflokzeit zu sehen. Meine Mutter hatte damals gute Beziehungen zu den Eisenbahnern. Sie halfen sie ihr, eine Art “Pension” für unseren internierten Vater zu erhalten. Einer dieser netten Beamten, ein Bauernsohn, versah seinen Dienst auf dem Stellwerk und irgendwie durfte ich dort hoch. Was war ich doch stolz. Ich saß still in der Ecke und sah das Treiben, hörte den Telegraphen rattern. Trotz der vielen Erklärungen konnte ich aus den Löchern keine Buchstaben erkennen und das blieb auch in meinem ganzem Berufsleben ein Geheimnis. Grandios war der Blick von dort oben, wenn eine 01 oder 03 mit einem D-Zug an uns vorbeidonnerte. Eines Tages sagte er mir: “Mok dat Ding tau!” Ich hängte mich darauf hin an die Drehhebel der Schranke, ganz ängstlich darauf bedacht, ja keinen Schaden anzurichten. Das war vielleicht ein Gefühl, die Barriere zu bedienen, die doch sonst nur als prima Ausrede für die Verspätungen in der Schule oder daheim herhalten mußte. Runter gingen recht leicht. Aber hoch hing der Elfjährige mit seinem ganzen Gewicht an den massigen Kurbeln. Der Blick nach hinten im Stellwerk sah nur einen freundlich grinsenden Beamten. Bevensen hatte ja auch eine “Köf”, eine kleine dieselbetriebene Rangierlok. Ihr Unterstand befand sich gegenüber der Güterabfertigung auf der Stadtseite des Bahnhofes. Ab und zu durfte ich dort mitfahren. Für mich als Kind gab es nichts, was schöner gewesen wäre. Güterwagen wurden gezogen oder geschoben. Ich bangte immer sehr um die Dreschmaschinen, die die Maschinenfabrik verladen und festgezurrt hatte. Aber sie standen zum Glück immer sicher und fest. Die Viehwagen fanden nur für die Tiere ein mitleidiges Interesse. Herrlich waren sie die langen Fahrten zum Silo und zurück. Manchmal schloß der Lokführer die schweren Ledervorhänge, denn der Bahnhofsvorsteher sollte von mir dem kleinen Mitfahrer nichts mitbekommen. Am Nachmittag schob die “Köf” die Waggons zurecht, die gegen Abend dann von einer 38 nach Uelzen geholt wurden. Zum Schluß ging es dann noch quer über die Durchfahrtgleise zum Lokschuppen. Den Dieselgeruch habe ich noch heute in der Nase. Heutige Elf- oder Zwölfjährigen haben diesen Spielplatz natürlich nicht mehr. Aber ich glaube, so sehr vermisse sie ihn auch nicht. Die Computertechnik hat diese Stelle als Spielplatz eingenommen. Dennoch meine ich, so manches Abenteuer geht ihnen nun verloren. Mir hat es die Liebe zur Eisenbahn gebracht, obwohl ich einen anderen Weg gegangen bin.

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