Blickpunkt Januar 2018

Auch im nächsten Heft wollen wir wieder Geschichte lebendig werden lassen. Machen Sie mit! Die Informationen werden wir jeweils in der nächsten Ausgabe veröffentlichen. Unsere Adresse: Allgemeine Zeitung, Blickpunkt Bilderserie, Gr. Liederner Straße 45 in 29525 Uelzen oder per Mail: blickpunkt@cbeckers.de.

Friedrich Brüning/Uelzen

Veröffentlicht im BLICKPUNKT – Februar 2018

Meine Familie hat von etwa 1933 bis 1954 in unmittelbarer Nachbarschaft zur Klinik Dr. Sinn gewohnt, nämlich genau gegenüber in der Bahnhofstraße Nr. 9. So war es ganz klar, wenn wir ärztliche Hilfe brauchten, gingen wir nur quer über die Straße. Ich selbst bin im Dezember 1933 als erstes Kind meiner Eltern geboren, natürlich bei Dr. Sinn. In den Folgejahren ging es Schlag auf Schlag mit dem Kinderkriegen: in den Jahren 1937, 1938, 1941 und 1943 kamen meine vier jüngeren Schwestern zur Welt, natürlich alle in der Klinik Dr. Sinn. Unsere Mutter war sozusagen Stammkundin in der Klinik. Somit kannten wir die Klinik nicht nur aus dem Blick der Nachbarschaft, sondern erlebten sie auch regelmäßig von innen. Ich durfte meine Mutter nach den Geburten der kleinen Schwestern am Wochenbett besuchen und erinnere mich gut daran, dass man dorthin über eine breite Treppe ins zweite Obergeschoss ging, wo die Geburtsabteilung war. Vorbei kam man am Eingang an der Rezeption, wo Fräulein Baltz hinter einem Schiebefenster saß, und ihren Blicken entging niemand, der das Haus betrat. Unsere Familie als „Stammkunden“ kannte sie natürlich bestens, Wir kamen  in die Klinik nicht nur bei den Geburten, sondern auch bei jedem kleinen oder größeren Fall, der ärztlich behandelt werden musste, zum Beispiel einen Furunkel aufzuschneiden. Das war vor allem bei der schwierigen Ernährungslage in der Nachkriegszeit keine Seltenheit.

Meine Schwestern erinnern sich, dass sie des Öfteren unter den Fenstern der Geburtsabteilung im zweiten Stock standen und nach oben gerufen haben „Tante, zeig uns mal ein Baby!“ und freuten sich, wenn hin und wieder tatsächlich eine der Schwestern mit einem Baby auf dem Arm ans Fenster trat.

Im ersten Obergeschoss waren die Wohnräume der Familie Sinn. Wir wohnten gegenüber auch im Obergeschoss und hatten so manchen Blickkontakt nach drüben. Dort war auch die Familie von Martin Sinn, des Bruders von Dr. Ekhard Sinn, eingezogen. Sie hatten fünf Kinder, die im angrenzenden Wilhelmspark häufig unsere Spielkameraden waren. In dem wunderschönen parkartigen Garten hinter der Klinik durften wir allerdings nicht spielen.

Der Blickkontakt aus dem Nachbarhaus brachte für mich auch ein trauriges Erlebnis mit sich. Als am 17. April 1945 durch ein Artilleriegeschoss der nahenden britischen Armee in einer Menschengruppe auch die beiden fünf- und zweijährigen Mädchen einer benachbarten Familie getroffen wurden, musste ich aus dem Fenster unserer Wohnung mit ansehen, wie jemand die blutüberströmten Körper der beiden in die Klink Dr. Sinn trug. Sie waren leider nicht zu retten, die Verletzungen waren tödlich.

Aus einer befreundeten Familie wurde mir erzählt, dass bei den Abrissarbeiten der Klinik in den siebziger Jahren der in der Klinik geborene Sohn dort hin ging und sich einen der Ziegelsteine des Mauerwerks als Erinnerungsstück gesichert hat. Das habe ich leider versäumt.

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