Hinweis:

Zeitzeuge: Friedrich Wilhelm Kersting;

Was war das doch für eine Zeit, als wir Jungen Momente erlebten, die für damalige Verhältnisse typisch waren und heute schon manchmal auf Unverständnis stoßen. Vielleicht sind solche Gedanken an die Vergangenheit heute nicht mehr sonderlich gefragt, aber wer sie dennoch lesen möchte, sollte es können. Auch morgen noch. Da kamen zum Beispiel die damals völlig überfüllten Personenzüge aus Hamburg. In den Abteilwagen quetschten sich die Menschen, außen standen sie auf den Trittbrettern und dann saßen auch auf den Dächern der Waggons und auf dem Tender der 38er noch Personen. Wenn der Zug dann in unserem Ort hielt, kam Leben auf, im wahrsten Sinne des Wortes. Ströme von Menschen bewegten sich auf die Straßen um den Bahnhof zu, die in die umliegenden Dörfer führten. Dort wurde dann getauscht, was immer sich tragen ließ. Eines Tages waren jedoch die Züge leer. Währungsreform! Wir hatten es nicht ganz so weit. Meine Mutter strickte verschiedene Kleidungsstücke und erhielt dafür in Eppensen Speck und Eier. Wenn sie unterwegs war, mußte ich mitkommen und lernte so die Gegend zwischen Bevensen und den umliegenden Ortschaften kennen. Manchmal durfte ich auch mein selbstgebautes Spielzeug, das ich den anderen Jungen abguckte, mitnehmen.. Es war ein gerades Stück Draht, gedreht, von der Ladestelle der Dreschmaschinen aus dem Standard-Werk, durch die Nabe eines alten, nicht eiernden Fahrradrades gesteckt. Das ganze Teil wurde vor sich hergeschoben. War es der Lärm den es machte, war es die Spur im Sand der Wege? Ich weiß es nach den Jahren nicht mehr. Beliebt war auch, wenn die Zeit kam, am Bahndamm auf der anderen Seite des Silos, die Lupinen zu pflücken. Empfänger war stets mein Großvater. Er zahlte dann dafür meistens fünfzig Pfennig, oft noch als Schein. Dafür gab es dann Lakritze, Kaugummi und auch mal einen Kinobesuch in der Kirchenstraße. Außerdem hatten wir beim pflücken der Lupinen oftmals die Gelegenheit, das Anfahren langer und doppelt bespannter Güterzüge mit dem lauten, quählenden Puffen der Lokomotiven zu beobachten, als sie freie Fahrt aus dem Überholgleis bekamen. Diese Geräusche gehörten nun einmal zur Bahn und man war es gewohnt. Auch ohne Lärmschutzzäune.

D0101d 0036 - Klein-Lok – Rangierarbeiten im Bahnhof Bevensen (Nachlass Klippe) 1985

Einmal fanden wir Jungen einen längeren Zigarrenstummel. Andere Kippen klaubten die Erwachsenen auf. Zumindest was diesen heutigen Abfall und die damaligen Pferdeäppel in den Straßen betraf, war die Stadt sehr sauber. Zurück zur Zigarre. Jeder Junge hatte stets ein Brennglas in der Tasche. Und weil die Sonne gerade schien, setzten wir den Stummel damit in Brand. Es war Ehrensache, daß jeder von uns einen Zug nahm. So schnell war ich aber danach sonst nie in Richtung Wohnung verschwunden. Wie damals so oft, verbotenerweise über die Gleise. Gefährlich war das nicht sonderlich, hörte man doch die Züge schon von weitem. Es reichte noch knapp zum altem Plumpsklo in unserem Hof. Dieses Erlebnis hatte mir bis heute das Verlangen auf Zigarren gründlich verdorben. Vielleicht bringen meine Erinnerungen auch andere dazu, ihre eigenen aufzuschreiben. So würde der Verein ‘Historisches Bevensen e.V.’ weitere Zeitzeugnisse erhalten. Man müßte nicht in ferner Zukunft feststellen: “Wir haben nichts mehr aus der Zeit und die Zeugen leben leider nicht mehr”. Nur Mut, so schwer ist es nicht! Zu Lebzeiten zur Verfügung gestellt von Friedrich Wilhelm Kersting

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