Quelle:

Text: Jürgen Warnecke – veröffentlicht in den Bevenser Nachrichten – Oktober 1998

Das höchste Glück für nur 15 Pfennige

Damals, Ende der vierziger und in den fünfziger Jahren, fand der große Rummel ja noch in der Altstadt Bevensens statt. Mittelpunkt des Marktgeschehens war Bevensens geographischer und historischer Mittelpunkt, der alte Marktplatz vor der Dreikönigskirche. Vom Marktplatz mit seinen hohen Lindenbäumen strahlte das volksfestliche Treiben aus, hinauf in die Lüneburger Straße, bog zwischen Hotel Reichshof und Zigarren-Uhde in die Rathausstraße bis zum Rathaus. Von der anderen Seite her, von der Kirchenstraße, zog sich der Krammarkt mit seinen Budenreihen in die Bergstraße, bis sich der Kreis bei »Luhmanns Wilde Jagd« vor Wiedemanns Gasthaus und Ausspann am Rathaus wieder schloß. Hauptmarkttag war immer Dienstag, den »Vormarkttag« feierten wir am Sonntag davor.

Ach, was war das für uns Kinder ein Spaß, eine Freude und tiefes Erlebnis zugleich. Auf dem Kirchplatz, Schuster Meyer gegenüber, stand seit Generationen die alte Schaustellerfamilie Tress aus Uelzen. Die alte Frau Tress war aus Röbbel gebürtig und betrieb das in Stadt und Land bekannte Tress’sche Kinderkarussell. Einmal nur fahren! Das war Höhepunkt und Seeligkeit zugleich – und kostete damals 15 Pfennige; immerhin, aber wir bekamen ja zwei Mark Taschengeld für den Markt mit. Mehr als eine Fahrt bei Tress war dennoch nicht drin, denn eine Bockwurst mußte auch verzehrt werden, sonst war der Markt kein Markt. Bei Heini Ohland stand der Mann mit der Bockwurst: »Die grooße Riesenwurst für sage und schreibe vierzich Fennige – un denn noch ’n halbes Brötchen dabei – da musss man dscha zulang‘!«, war seine Devise. Und wir langten zu – für vierzig Pfennige! Zwanzig Pfennige kostete es, einmal am Glücksrad der Pralinenbude, die immer vor Schlachter Henckes Laden in der Kirchenstraße stand, zu drehen. Wir, meine Schwestern und ich, drehten jeder einmal – und die Jüngste, sie hatte ja immer Glück, gewann einen Kasten Pralinen, »Schlicht doch edel« stand auf dem Karton. Vor Praesents schönem Fachwerkhaus war Burgdorfs »Schnellbahn« aufgebaut. Mit rasender Geschwindigkeit und dauernd wechselnden Lichteffekten sausten wir für dreißig Pfennige einige Male im Kreise herum.

Ein paar Schritte weiter vor Böttgers Kettenkarussell hörten wir staunend der alten Orgel zu. »Carl Frey, Waldshut« stand in alten Lettern auf dem im Jugendstil gehaltenen Orchestrion, das von einem elektrischen Motor betrieben unentwegt bekannte Melodien spielte. Für uns ein Wunderwerk – diese Vollkommenheit – als säße ein ganzes Orchester hinter der Orgelpfeifenfassade. Ja, und dann noch der in ein farbenfrohes Fantasiekostüm gekleidete kleine Dirirgent, eine hölzerne Puppe, die genau den Takt angab, während elfenhaft schwebende Mädchenfiguren vielerlei Glocken zum Klingen brachten. Noch heute höre ich, beim Schreiben dieser Zeilen, das vertraute Glockenspiel. Wenn wir das Glück hatten, mit Vater und Mutter den Markt zu besuchen, dann gab es einen Speckaal von Aal-Müller aus Bleckede, der bei Hartwig Schmidt vor der Tür seine Bude aufgeschlagen hatte, und saftige Honigkuchen aus Fritz Voß oder Lohstödters Zuckerbudenwunderland. Sollte man noch sagen, daß an Markttagen Bäckermeister Willi Meyer, im Volksmund »Sol-Meyer« geheißen, sein Cafe´ in der Lüneburger Straße öffnete, und daß das stadtbekannte Original Otto Brunhöber zwischen zwei großen Schildern, eines vor dem Bauch, das andere am Rücken durch die dichtgedrängten Marktstraßen zog, um kundzutun, daß die »Heidestern-Lichtspiele« ein Extra-Sonderprogramm zum Bevenser Markt boten und der Film »Quax, der Bruchpilot« mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle um 11, 13, 15, 17 und 20 Uhr gezeigt wurde, und daß abends in allen Gaststätten »Marktball« war und daß Mutti Sagell extra Rollmöpse eingelegt hatte, um den letzten Marktballbesucher ihre» Hauses, heute »Anno 1825«, am nächsten Morgen so gegen vier damit wieder auf die Beine zu bringen? – Ja, der Bevenser Markt war früher eben anders, war neben dem Schützenfest Bevensens zweites deftiges Volksfest.

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