Quelle:

Text: Heinrich Bergel; veröffentlicht in „Heimatkalender für Stadt und Kreis Uelzen“ – 2011, S. 73-76;

Die dargestellten Beiträge Dritter dienen der Erleichterung einer weiteren Recherche. Wir empfehlen die Sachverhalte und insbesondere Datumsangaben und Namen immer zu überprüfen.

Bevensens erste Jazzband in den Jahren 1956 bis 1960

Der Zauber der Jazzmusik: Wenn sich Mitte der 1950er Jahre in der Kleinstadt Bevensen junge Leute zu einer Jazzband zusammenfanden, war das schon etwas Besonderes. Die Jazzmusik erfreute zu damaliger Zeit nur wenige. Zu ihnen gehörte auch der Verfasser. Der Jazz hatte durch die jungen Menschen immer noch etwas Provokantes gegenüber der älteren Generation. Viele Bevenser wissen nichts mehr von der ersten Jazzband in ihrem Ort. Ich möchte darüber berichten, damit diese kurze Episode nicht in Vergessenheit gerät, denn: Die Band war ein Stück kulturellen Lebens in der Stadt.

Die St. James Jazz Youngsters spielen im Rosenbad Bevensen, v. L : Norbert Schulze-Ballenthin (tb) (verdeckt), Helmut Fuchs (tp), Wolfgang Kunert (p), Peter Kunert (ss), Heinrich Bergel (dr), Kai von Döring (cl)

Die St. James Jazz Youngsters spielen im Rosenbad Bevensen, v. l. : Norbert Schulze-Ballenthin (tb) (verdeckt), Helmut Fuchs (tp), Wolfgang Kunert (p), Peter Kunert (ss), Heinrich Bergel (dr), Kai von Döring (cl)

Jazzmusik in Bevensen

Aus der Flugzeugmodellbaugruppe der evangelischen Jugend unter Pastor Wilhelm Behr entstand 1953/54 der erste Jazzclub Bevensens. Zu den Pionieren der Modellbaugruppe gehörten unter anderem Emil Musahl und Walter Woelk. Letzterer war dann auch der jazzbegeisterte junge Mann, der eben solche jungen Leute um sich herum versammelte, um die neue Musik, die aus England zunächst als Jazzrevival herüberschwappte, kennen zu lernen. Der Versicherungskaufmann Gunter Möll stellte mit Genehmigung seines Vaters den Clubmitgliedern einen notdürftig ausgebauten kleinen Dachbodenraum über einer Garage im Alten Wiesenweg zur Verfügung.

Zu den nun regelmäßig stattfindenden Clubabenden verpflichteten sich die Mitglieder, zu irgendwelchen Themen aus dem Bereich der Jazzmusik Vorträge zu halten, über die dann weiter diskutiert wurde. Natürlich gab es auch Musikbeispiele von der Platte. Als theoretische Grundlage diente die „Jazz-Bibel“ des „Jazzpapstes“ Joachim Ernst Behrendt: „Das Jazzbuch“.

Die Eltern der jungen Leute waren in aller Regel, wenn sie denn überhaupt informiert waren oder sich dafür interessierten, nicht begeistert von der „Niggermusik“, zumal es sich auch noch um die Musik der so genannten Siegermächte handelte. In diesem Zusammenhang gab es auch in der AZ einige lebhafte Diskussionsbeiträge zum Thema Jazzmusik. Ein unduldsamer Vater vernichtete dann auch die kleine Plattensammlung seines Sohnes – für die Clubmitglieder ein unfassbarer Vorgang! Zum Club gehörten damals noch Klaus Beck, Heinrich Bergel, Henning Hille, Gunter Möll u.v.a. Walter Woelk hatte kurzfristig eine kleine Jazzgruppe gegründet. Er selbst spielte Gitarre, die dann der Zahnarztsohn Dierk Frerichs übernahm, und sattelte auf Klarinette um. Emil Musahl versuchte sich auf der Posaune.

Diese Gruppe existierte nur ganz kurze Zeit. Gunter Möll entpuppte sich als Sponsor, denn er stellte dem Club eine komplette Beschallungsanlage zur Verfügung und außerdem ein aus dem Besitz seiner Eltern stammendes Klavier. Hin und wieder versuchte sich dieser oder jener an einem Instrument. Henning Hille kaufte sich eine gebrauchte Klarinette, Gunter Möll ein Schlagzeug, an dem aber bald Heinrich Bergel saß. Henning Hille, Sohn des bekannten Bevenser Architekten, brachte aus dem Büro seines Vaters eine Angestellte mit, die sich am Klavier in Sachen Jazz versuchen sollte. Der Versuch scheiterte und so sprachen Hans-Peter Musahl und Heinrich Bergel im Sommer 1957 den Schüler Wolf gang Kunert an, dessen Vater in Bevensen Rechtsanwalt und Notar war.

Die Familie Kunert stellte zeitweise großzügig die Wohnung mit Klavier im Hause an der Lindenstraße für Probennachmittage (nach der Schule) zur Verfügung. Hin und wieder durften die Akteure die Bühne des Gasthofes „Vier Linden“, etwas später dann auch den Clubraum im „Cafe Kummer“ im Krummen Arm benutzen. Der spielende Teil des Jazzclubs konnte im Bäckergang einen Schuppen mieten, der für zwei Jahre als Übungsraum diente. Kunerts Bruder spielte zunächst Fagott – etwas später Alt- und Sopran-Saxophon.

Im Dezember 1958 berichtete der NDR über die Jazz-Szene in Bevensen: v. /.: Helmut Fuchs, Peter Kunert, NDR-Techniker, Wolf gang Kunert, Heinz Bergel, mit dem Rücken zur Kamera: Gerhard Frericks

Im Dezember 1958 berichtete der NDR über die Jazz-Szene in Bevensen: v. /.: Helmut Fuchs, Peter Kunert, NDR-Techniker, Wolfgang Kunert, Heinz Bergel, mit dem Rücken zur Kamera: Gerhard Frericks

Aus Ebstorf gesellten sich der Oberschüler Norbert Schulze-Ballenthin (Posaune) und aus Holdenstedt Helmut Fuchs (Trompete) dazu. Eine richtige Dixielandband war geboren, die erste in Bevensen überhaupt. Für einen ersten öffentlichen Auftritt, einen Wettbewerb im Mai 1958 in Lüneburg, brauchte die Band für die Anmeldung einen Namen. Nach einem der ersten Stücke im noch sehr kleinen Repertoire, nämlich „St. James Infarmery“, wurde der Name der Band gefunden: „St. James Jazz Youngsters“. Das war 1958. Bei dem Wettbewerb hatte die Bevenser Band noch keine Chance, weil in Lüneburg schon routinierte Gruppen teilnahmen. Erst ein halbes Jahr später, bei einem Wettbewerb in Uelzen, ging die Band als Sieger hervor. In den folgenden Zeiten wechselte die Besetzung sehr häufig, weil überwiegend Schulinteressen vorrangig waren. Vom Internat Marienau kamen Kai von Döring (Klarinette), aus Lüneburg der Sopran-Saxophonist Dirk „Revi“ Revenstorf und die Trompeter Manfred Germann aus Lüneburg und Winfried Crey aus Himbergen hinzu.

Die Bevenser Jazzband war natürlich im Musikgeschehen des kleinen Ortes etwas Besonderes. Bisher kannte man hier diese Musikart bestenfalls aus dem Radio. Um professionelle Jazzgruppen hören zu können, musste man schon in größere Städte fahren. Erste öffentliche Auftritte fanden im Rosenbad, im Saal des „Hotels Stadt Hamburg“ und im Rahmen eines Jazz Band Balls im Saal des „Hotels Vier Linden“ in Medingen statt.

Jazzmusik im Hotel

Bei einem Konzert im Hotel Stadt Hamburg in Bevensen, v. /. Hans-Peter Musahl (b), Wolfgang Kunert (p), Winfried Cray (tp), Dirk Revenstorf (ss), Heinrich Bergel (dr) und Norbert Schulze-Ballenthin (tb)

In Uelzen hatte sich eine Band um den Architektensohn Schiockermann gebildet und sich den Namen „Odd Fish Jazz Babies“ gegeben. In Lüneburg spielten schon routinierte Gruppen wie die „Salt City Stümpers“, die „Modern Jazz Five“sowie die „Bottie Imp’s Jazz Gang“.

1958 wurde der Drummer Heinz Bergel – seines Zeichens Postbeamter – nach Fallersleben an das dortige Postamt versetzt. Nach kürzester Zeit war er schon Mitglied der Fallerslebener „Canal Street Band“. Logischerweise kam es nun zu mehreren Begegnungen der beiden Jazzgruppen in Fallersleben und Bevensen. Man organisierte in beiden Gruppen überwiegend Jazz Band Balls – einmal sogar in Gifhorn.

Der Wettstreit von fünf Amateur-Jazzbands

Am Freitag, dem 9. Mai 1958, gab es mit Publikums- und Jury-Bewertung einen Wettstreit von fünf Amateur-Jazzbands in Meyers Garten in Lüneburg. Es spielten die „Salt City Stümpers“, die „Bottie Imp’s Jazz Gang“, die „Modern Jazz Five“, die „Neetze River Rambiers“ und die „St. James Jazz Youngsters“. Die Bevenser konnten bei diesem Konzert nur einen Achtungserfolg erreichen. Die AZ berichtete darüber am 10. Mai 1958:

„Jazz-Konzert rief die Jugend in Massen herbei. Vielen blieb der Schützenhaussaal verschlossen – „Demonstrationen“ vor den Saaltüren – Im Jazz-Wettstreit siegte die Bevenser Band“

Und weiter heißt es in dem Artikel: „In Massen strömten die Jugendlichen gestern Abend schon früh zum Schützenhaus. Als der Saal, leider zu spät, geöffnet wurde, hatten sich schon einige hundert vor den Eingängen gestaut. So kam es von vornherein zu einem drängenden Massenansturm, der kaum zu zügeln war. Schnell schien der Saal überfüllt zu sein. Die draußen bleiben mussten, konnten es nicht glauben und nicht begreifen. Man versuchte den Einlass zu erzwingen. Haupt- und Nebeneingang wurden umlagert, man rüstete zu Sturmläufen. Steine flogen, Fensterscheiben klirrten. Mitglieder der Jury und der Bands gelangten nur wie durch ein Wunder in den Saal. Drinnen wurden sie von einem erwartungsvollen Publikum gefeiert, als hätten sie bereits Proben ihrer Kunst gegeben. Kunst – jawohl. Wenn da auch Amateure auftraten sie spielten Jazz, der eine Kunstform ist. Übergeschnappte Rock-,n‘-Roll-Einlagen waren von vornherein ausgeschlossen. Nicht geringen Anteil an der erstaunlichen Disziplin im Saal hatte eine Reihe beherzter Jungen aus den Uelzer Jugendgruppen. Der Parole, die Stadt zum Bau eines großen Saales aufzufordern – eine Parole, die nicht aus den Reihen der Jugendlichen kam – wäre der Hinweis auf den beschlossenen Bau der Mehrzweckhalle entgegenzuhalten. Dazu auch wäre zu sagen, dass gestern einige hundert Menschen mehr in dem Saale und dem völlig freigehaltenen Nebensaal hätten unterkommen können, wenn es die Zahl der konzessionierten Stuhlplätze zugelassen hätte. Im Volksmunde ist immer die nie dementierte Rede gewesen, dass der Schützenhaussaal mindestens 1.000, in Ausnahmefällen weit mehr Besucher fassen könne. Gestern wurde mit weit niedrigeren Zahlen operiert, wenn man sich so streng an sie halten wollte, müsste man bei dem zu erwartenden Andrang eine zweite oder Parallelveranstaltung empfehlen oder einplanen […]“

Aus einem weiterer Artikel in der AZ von 1958:

„Dynamischer und musikalischer Jazz., Odd Fish Jazz Babies‘ und,St. James Jazz Youngsters‘ spielten vor 600 Jugendlichen. … An der Geschlossenheit der Bevenser Band hingegen gab es nichts zu deuteln. Das Zusammenspiel, insbesondere in der Bläsergruppe und auch zusammen mit der Rhythmusgruppe, war oft wie aus einem Guss. Dass sich der Hamburger Gast ,Revi‘ Revenstorff Sopran-Saxophon, aus dem Sextett etwas herausschälte, schmälert die Leistung der anderen nicht. Bei den ,Jazz Youngsters‘ imponierte in erster Linie die ausgeprägte Musikalität, der die Rhythmik nur als Unterstützung diente. … Die Besetzung: Winfried Crey, Cornett; ,Revi´ Revenstorff, Sopran-Saxophon; Norbert Schulze-Ballenthin, Posaune; Wolfgang Kunert, Piano; Hans-P. Musahl, Baß; Heinz Bergel, Schlagzeug“

Der NDR und die „St. James Jazz Youngsters“

Ein besonderer Höhepunkt war der Besuch des NDR in Bevensen. Die AZ berichtete darüber am 9. Dezember 1958: „Rundfunk interviewte jungen Bevenser Pianisten“: Erst vor wenigen Tagen brachten wir unter dem Stichwort ,Ewig junges Klavier‘ die Meldung von dem außergewöhnlichen Erfolg eines Bevenser Oberschülers als Klavierspieler in dem Bundes Wettbewerb… Am Wochenende hat der Sender Hannover bereits ein musikalisches Interview in Bevensen aufgenommen und bei dieser Gelegenheit kam dann die ,andere Seite Wolfgang Kunerts auch zur Sprache. Nämlich seine Mitwirkung als Pianist bei den ,St. James Jazz Youngsters‘, der erfolgreichen Bevenser Jazzband. … Die Aufnahme wurde in dem DRK-Jugendheim an der Ebstorfer Straße gemacht, deren Leiterin Frau Sichler die Jazz-Band regelmäßig zu kleinen Konzerten für die monatlich wechselnden Kurgänge von Jungen und Mädchen einlädt. Es ist darüber hinaus zu erwarten, dass der Rundfunk sich demnächst mehr mit dieser Jazz-Gruppe befasst, denn entsprechende Gespräche sind bereits eingeleitet.“

Der Übertragungswagen des NDR in Bevensen

Der Übertragungswagen des NDR in Bevensen

Die St. James Jazz Youngsters konzertierten dort monatlich einmal vor vielen Jugendlichen aus ganz Deutschland, die sich im Heim, welches von Frau Sichler geleitet wurde, zur Kur aufhielten. Es gab eine Übertragung einiger Jazzstücke im Funk. Höhepunkt aber war das Interview mit Wolfgang Kunert, dem 16-jährigen Pianisten der Band. Rolf Seelmann-Eggebrecht befragte den Pianisten. Es war übrigens das erste Interview überhaupt des jungen Journalisten. Kunert blieb gewissermaßen der Musik treu. Nach der Jazzzeit volontierte er als Tonmeister in der Hamburger Oper und ging 1971 als Redakteur und Tonmeister zum NDR-Tanzorchester.

1989 übernahm er zusätzlich die Musikredaktion im neuen Programm NDR 4 und zehn Jahre später die NDR Jazz-Redaktion. Sein Hauptarbeitsfeld sah er allerdings in der Betreuung der „NDR Big Band“, die sich unter seinem Management zum heutigen Weltklasseorchester entwickelte.

2005 ging Wolfgang Kunert in den Ruhestand. Aus dem AZ-Bericht von 1959: „Chorkonzert und Jazz im Stadtgarten“:

In der Folge der diesjährigen Bevenser Kurveranstaltungen hat am kommenden Sonntag nach einem Chorkonzert auch der Jazz das Wort. Im Stadtgarten spielen die ,St. James Jazz Youngsters‘. Die Band hatte im vergangenen Winter mit einem Tanzabend für die Bevenser Jugend ihre Abschiedsvorstellung gegeben, da das Abitur zweier Jazzer ein weiteres Zusammenspielen unmöglich machte. Schon immer war der Band das Musizieren dadurch erschwert worden, dass ihre Spieler von Buchholz bis Ebstorf in der gesamten Lüneburger Heide verstreut wohnten, und als Ostern drei Mitglieder nach Hamburg und Braunschweig zogen, war es mit dem gemeinsamen Jazzen endgültig vorbei. Umso dankbarer haben die Jazz Youngsters a. D. die Gelegenheit ergriffen, die ihnen die Stadt Bevensen jetzt geboten hat. Es musizieren (falls es regnet in der Turnhalle) morgen um 20 Uhr: Manfred Germann, Trompete; Norbert Schulze-Ballenthin, Posaune, (z. Zt. Braunschweig); Dirk Revenstorff, Dierk Frerichs, Gitarre und Heinz Bergel, Schlagzeug (aus Bevensen). Das Chorkonzert am Nachmittag (16.30 Uhr) leitet Herbert Sehm.“

Vier Jahre später erklang wieder Jazzmusik in Bevensen. Die „Lehrerband“ („Frederic Rooters Jazz Society“) trat 1972 das Erbe der ersten Bevenser Jazzband an.

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