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TEXT: Tino Wagner

Als in den Schulen der Rohrstock tanzte

Schon seit dem Mittelalter gehörten Schläge zum Unterricht; bereits in den Klosterschulen wurden „sündige Schüler“ gefügig gemacht, um ein „würdiges Gefäß göttlicher Gnade“ zu werden.

Auch hiesige Schüler erlebten Gewalt als gängiges Erziehungsmittel, sogar bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Die Möglichkeiten der gesellschaftlich tolerierten Strafen waren dabei äußerst vielgestaltig. Zu den „Orientierungshilfen“ zählten Kopfnüsse, das Ziehen an den Ohren und Schläge mit dem Lineal oder Rohrstock auf die Fingerkuppen oder das Gesäß.

Über die regelmäßigen Stockschläge in den Dorfschulen wurde sogar Buch geführt. Zahlreiche dieser Strafverzeichnisse schlummern im Stadtarchiv Bad Bevensen. Die vergilbten Seiten dieser Bücher berichten über den oft grausamen Schulalltag. Neben den Namen der geschundenen Jungen und Mädchen sind auch die Gründe für die Strafen dokumentiert und wie sie vollzogen wurden. Es lässt sich sogar nachvollziehen, welche Form der Züchtigung jeder Lehrer bevorzugte: Um 1900 ließ ein Seedorfer Lehrer seinen Rohrstock bevorzugt auf dem Rücken der Schüler und Schülerinnen tanzen.

Prügelstrafe Auszug aus dem Strafverzeichnis der Seedorfer Dorfschule

Die Gründe waren häufig geringfügig: Anna Meyer bekam im August 1902 für wiederholtes Plaudern vier Schläge mit dem Rohrstock. Wiederum ein anderes Mädchen wurde 1906 verprügelt, weil sie nicht zum lauten Sprechen zu bewegen war. Im Schuljahr darauf bekam sie Schläge für vergessene Schreibutensilien und wenig später nochmal für „rüpelhaftes Benehmen“. Für „häuslichen Unfleiß“ durften es auch mal zehn Hiebe sein – Erziehungsmethoden, die sich tief in Kinderseelen fraßen und die Motivation ganz sicher nicht steigerten.

Zur gleichen Zeit wurde auch in Röbbel ordentlich ausgeteilt. Jeden Monat bekamen dort bis zu zehn Kinder den Rohrstock zu spüren, weil sie abschrieben, logen oder Vogelnester plünderten. Während des 1. Weltkrieges bestraften Lehrer ihre Schüler und Schülerinnen besonders oft – meist wegen Unaufmerksamkeit und fehlender Hausaufgaben. 1918 bekamen zwei Schüler je vier Stockschläge, weil sie Pfirsiche gestohlen hatten.

Schüler und Schülerinnen vor der Bevenser Volkschule, dem heutigen Rathaus

In den folgenden 30 Jahren wurde keine Bestrafung schriftlich festgehalten. Erst 1948 wurde das Buch fortgeführt. Das Röbbeler Strafverzeichnis endet mit einem Eintrag vom 18. März 1964: Ein Schüler bekam drei Stockschläge, weil er eine Unterschrift gefälscht hatte.

Ein Erlass des Ministers für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft sollte Lehrer bereits 1946 zum Umdenken bewegen: „Sittliche Erziehung kann […] nur gefördert werden, wenn im Kinde […] freiwilliger Gehorsam geweckt wird.“ Für die körperliche Züchtigung von Mädchen sollten die Lehrer künftig bestraft werden. Jungen sollten nur noch in besonderen Ausnahmefällen gezüchtigt werden. Die Schulleiter im Kreis Uelzen hatten diesen Erlass ihren Lehrkräften vorzulegen und durch Unterschrift bestätigen zu lassen.

Insgesamt dürfte sich dadurch wenig geändert haben: Der heute 79-jährige Hans Dieter Lühr ging von 1946 bis 1954 in die Bevenser Volksschule und erinnert sich noch lebhaft an die Züchtigungen während seiner Schulzeit. „Bis zur 3. Klasse bekamen wir Schläge mit dem Lineal auf die Hände. In der Ecke stehen war noch die harmloseste Bestrafung.“ Später mussten sich die Kinder neben dem Lehrerpult aufstellen und nach vorne beugen, bis die Fingerspitzen den Boden berührten. „Wenn es dann welche mit dem Rohrstock auf den Hintern gab, ging es bis in die Haarspitzen“, berichtet Lühr und rutscht dabei auf dem Stuhl unruhig hin und her. Von den Mitschülern dabei beobachtet zu werden, war noch eine zusätzliche Demütigung. Die Schüler ließen sich so einiges einfallen, um die Schläge zu mildern. Die Hosen wurden zuvor mit Leder oder Pappe gepolstert – mit etwas Glück blieb die Mogelpackung unbemerkt. Aber häufig war es schon am Klang erkennbar. Bei den Bestrafungen in der Schule blieb es oftmals nicht. Wenn die Eltern von den Missetaten erfuhren, gab es zu Hause durchaus die nächste Tracht Prügel.

In der sowjetischen Besatzungszone wurde die schulische Züchtigung offiziell mit Gründung der DDR im Jahr 1949 abgeschafft. Tatsächlich gab es aber noch Jahrzehnte Kopfnüsse oder langgezogene Ohren. In der Bundesrepublik wurde die Prügelstrafe an Schulen in den 70er Jahren verboten. Aber erst seit 2000 haben alle Kinder in Deutschland ein gesetzlich verankertes Recht auf gewaltfreie Erziehung – innerhalb wie außerhalb der Schule.

4 Kommentare
  1. Rüdiger sagte:

    In der Schule habe ich nie den Hintern vollgekriegt, aber umso mehr zuhause von meiner Mutter! Die hat mir bei Fehlverhalten mit dem Teppichklopfer oder Rohrstock den nackten Hintern versohlt! Oft mehrmals die Woche war ich fällig!
    Würde mich gerne mit anderen über die damaligen Erziehungsmethoden austauschen!
    Danke und Gruss

  2. Nmg sagte:

    Also ich habe sie regelmäßig mit dem rohrstock in der Schule bekommen in der eifel und zu Hause auch da war es eigentlich schon verboten aber es war normal geschadet hat es mir eigentlich nicht wenn man das heute in den Schulen so hört das die Lehrer Angst vor den Schülern haben das gab es damals nicht gruß nmg

  3. Mathias Ehlert sagte:

    Ich wurde 1978 in Bad Bevensen eingeschult. Unser Klassenlehrer nutzte auch noch Kopfnüsse, Ohren ziehen, in die Ecke stellen und die „Eselsbank“. Ein Mathelehrer warf gern mit dem schweren Schlüsselbund gezielt auf störende Schüler und verteilte auch Ohrfeigen. Grundsätzlich waren zugezogene (wir zogen 1978 nach Bevensen) und wirtschaftlich schwache Schüler bevorzugte Ziele der Attacken und wurden ausgegrenzt, auch mit Hilfe der Lehrerschaft. Das werde ich nie vergessen.

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